Es ist schwer am Ende dieses Jahres, die richtigen Worte zu finden. Seit nahezu zwei Jahren leben wir nun schon im Ausnahmezustand, im Krisenmodus.
Immer mehr treten die seelischen, emotionalen, gesundheitlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Auswirkungen zutage.
Noch nie habe ich so viel Angst und Verunsicherung und so massive, zur Bewältigung dieser Angst eingesetzte Anklagen und Schuldzuweisungen erlebt. So viel Verzweiflung und Wut. So viel Erschöpfung und Resignation auf allen Ebenen und in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Mauern und Gräben sind zwischen den Menschen entstanden, die sogar Paare, Familien und Freundschaften spalten.
Wie können wir angesichts dieser Situation jemals wieder zusammenfinden?
Jedem Problem, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Gesellschaft, auch in einer Partnerschaft, offenkundig zutage tritt, liegt ja immer eine schon vorher entstandene Störung zugrunde.
Es hat schon bisher mit dem inneren Zusammenhalt nicht so recht funktioniert, und jetzt, wo der Notstand herrscht, und die Menschen verängstigt sind, suchen sie nach Lösungen.
Manche greifen an, manche ziehen sich zurück, manche geraten in ohnmächtige Erstarrung. Dabei identifizieren sie sich mit ihren jeweiligen Überzeugungen, die sie zur Abwehr ihrer Ängste gefunden haben. Wer diese Überzeugungen nicht teilt, wird als Bedrohung empfunden. Um sich in seiner jeweiligen Position zu stärken, wird nach Gleichgesinnten gesucht. So entstehen Fronten zwischen einander bekämpfenden, abwertenden, ausgrenzenden, diffamierenden Menschen.
Nichts wünsche ich mir mehr, als dass wir möglichst bald wieder einen Weg finden, der diese Verhaltensweisen steuernden archaischen Notfallprogramme im Gehirn wieder außer Kraft setzt.
Dieser Weg hat nichts mit der Virusbekämpfung zu tun, es wäre vielmehr ein Weg der uns zurückführt zu uns selbst, zu dem, was unsere Lebendigkeit, unsere Berührbarkeit, unsere Offenheit - und mit all dem auch unsere Verletzbarkeit ausmacht.
Oder, wie Charles Eisenstein es beschreibt:
Das normale Muster aus Andersartigkeit, Rache und Bestrafung und aus der Zuschreibung des Bösen eines Systems an böse Menschen wird letztendlich nur dazu führen, dass sich die Geschichte wiederholt. Wir können die Aufseher des Systems ins Fegefeuer schicken, wir können das System selbst reformieren, aber wenn wir seine Fundamente nicht ausgraben, wird sich auf lange Sicht wenig ändern. Und was sind das für Grundlagen? Sie gründen in unserer Geschichte und in unserer Psyche. Um zu einer geheilten Welt zu gelangen, müssen wir verschiedene Arten des Menschseins und verschiedene Antworten auf die Urfragen: Wer bin ich? Wer bist du? Und wer sind wir? erkunden.
Dieses zutiefst Menschliche in uns werden wir aber nur finden können, wenn wir in all dem äußeren Getümmel endlich den Ruf aus unserem Inneren wieder zu hören beginnen. Erst dann, wenn wir uns mit diesem zutiefst Menschlichen in uns verbinden, werden wir der Versuchung widerstehen können, ständig nach Schuldigen zu suchen.
Das wünsche ich uns allen!
Frohe Weihnachten! Und Gesundheit, Frieden, Glück, Verständigung und gute Kontakte für 2022.
Herzliche Grüße
Matthias Kostka